Ihr Trauerkleid scheint heute berechtigt zu sein. Doch das Gold auf den Sitzlehnen träumt von wärmeren Tagen, vielleicht von Frühlingssonne.

 

Plötzlich stehe ich vor der kleinen Kirche San Giovanni Decollato (vulgo San Zandegolà) aus dem 11. Jahrhundert. Helle Kirchengesänge fliegen hinaus zu mir. Vorsichtig öffne ich die Türe, blicke in einen dreischiffigen Raum mit Resten von Fresken an den Wänden und Marmorsäulen mit byzantinischen Kapitellen. In der Seitenkapelle rechts vom Altar erkenne ich einen Priester, den Rücken den etwa zwanzig Frauen zugewandt, die im Wechselgesang mit ihm singen, beten und knien. In der Mitte der Kirche ist ein großer Tisch gedeckt mit Broten, Eiern, Orangen, Bananen und Äpfeln, zwischen denen dünne gelbe Kerzen sich aufrecht zu halten versuchen. Ich lausche eine Weile diesem russisch-orthodoxen Gottesdienst, stehe ratlos vor all den Broschüren in kyrillischer Schrift und verlasse schließlich San Giovanni, blicke noch einmal auf den kleinen campo, dessen Pflaster regennass glänzt, dessen niedrige Häuser sich aneinander klammern.

Dann gerate ich in Touristengedränge am Fischmarkt, auf der Rialtobrücke ist ein Durchkommen kaum möglich, vor San Marco wächst die Besucherschlange. Da gehe ich rasch vor zur Anlegestelle, setze mich auf eine Steinbank und blicke hinüber zu San Giorgio, zu Le Zitelle und Il Redentore. Gewaltiges Läuten von Kirchenglocken schreckt mich auf. Ich blicke hoch zum Campanile, auf das gleichmäßige Schwingen der großen Glocke und gehe dann langsam weiter durch Gassen und über Brücken zum Campo S. Stefano und weiter durch immer engere Gässchen zum Palazzo Fortuny, um dort die Ausstellung „Fortuny e Wagner – il wagnerismo nelle arti visive in Italia“ anzuschauen, dem eigentlichen Ziel meines Besuchs heute in Venedig.

Düster erhebt sich der Palast und düster sind die Räume. Überdimensionale Gemälde hängen an den Wänden, z. B. „La cavalcata delle valchiri 1906 von Cesare Vizzi: Nackte Frauen, deren weiße Körper leuchten, reiten mit aufgerissenen Mündern in hochdramatischer Bewegung mit Speeren in den Händen auf Pferden. Nicht weniger gewaltig ist das Bild „Le Norne“ 1885 von Alois Delug, das riesig große Frauengestalten in grünen Gewändern zeigt. In diesem Saal befinden sich auch zwölf rote Samtsessel aus dem Teatro Fenice, die vor einem Modell des Theaters von Bayreuth aufgereiht sind. Fotos zeigen Häuser und Plätze in Nürnberg, zusammen mit Skizzen für das Bühnenbild der „Meistersinger von Nürnberg“.

Es ist das erste Mal, dass Bilder, Zeichnungen und Illustrationen von Künstlern aus Italien und dem übrigen Europa ausgestellt werden, in denen Richard Wagners Bühnenfiguren im Mittelpunkt stehen. Mariano Fortuny fällt hier eine herausragende Rolle mit seinem Wagnerzyklus, einer Folge von 46 Gemälden und zahlreichen Stichen, zu.

Dieser Künstler, der 1871 in Granada geboren wurde und 1949 in Venedig starb, war Maler, Architekt, Ingenieur, Bildhauer und Modedesigner. Seit 1889 lebte er bereits in Venedig. Eine Reise nach Bayreuth hatte sein großes Interesse für Richard Wagner geweckt.

Im ersten Stock dieses Palazzos richtete er sein Atelier ein .Hier hängt nun sein „Ciclo wagneriano Parsifal“ – elf Bilder, wie „Il bagno di Anfortas nelle acque del sacro lago nel territorio del Gral“. Ein anderes Bild zeigt, wie die Gralsritter den Leichnam Titurels über eine schwarze Brücke tragen .Hier oben hängen auch Portraits von Richard Wagner, gemalt von Giuseppe Tivoli (1883) und Lionello Balastieri (ohne Datum).

Im zweiten Stock des Palastes befindet sich eine Bibliothek. Hohe Fenster des großen Raumes gewähren einen Blick auf die Häuser Venedigs mit ihren Altanen und Antennen.

Es ist fast 18 Uhr inzwischen. Das Museum schließt. In einer kleinen Bar in der Nähe trinke ich einen Espresso am Tresen, für nur einen Euro, noch ganz in Gedanken bei den ungewöhnlichen Bildern dieser Ausstellung.

Ulrike Rauh (Copyright bei der Autorin) Nürnberg, 21.03.2016

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