Ich begrüße Verona am Dom. Genieße die Stille des kleinen Platzes. Dann betrete ich den Innenraum, werfe einen kurzen Blick auf Tizians „Assunta“ und stelle wieder einmal fest, dass die Darstellung in der Frarikirche in Venedig mich wesentlich mehr beeindruckt. Anschließend gehe ich hinüber zu der kleinen Kirche St. Elena, deren Türen jedoch leider verschlossen sind. Blicke hinauf zu dem Relief an der Außenwand, das zeigt, wie Dante dem Skaliger Cangrande I. den letzen Teil seiner Göttlichen Komödie, das „Paradiso“, überreicht. Ich tauche ein in die Ruhe des Kreuzgangs von St. Elena und betrachte lange die zierlichen Doppelsäulen.

Auf meinem Spaziergang jenseits der Etsch sehe ich vor der Kirche San Giorgio in Braida auf einem großen Plakat einen Pilger, der mich an die Wanderer auf dem Jakobsweg erinnert. Ein liebevoll gezeichneter Ausschnitt aus dem Stadtplan mit all den Häusern und Kirchen entlang der Etsch bis zur Kirche Santa Maria in Betlemme trägt die Überschrift „Rinascere dall’ Acqua, Verona aldila’ del Fiume“. Ich befinde mich in „Verona minor Hierusalem“, wie ich weiter erfahre.

In großer Hitze erreiche ich das Teatro Romano, steige die vielen Stufen hinauf und lasse mich verzaubern von dem einzigartigen Blick auf die Stadt. Neugierig betrachte ich die kleine Kirche Santi Siro e Libera, die nun wieder geöffnet ist. Es überrascht mich immer aufs Neue, eine Kirche in einem Theater vorzufinden. Syrus, lese ich in einem Prospekt, war der Junge, der Jesus Brot und Fische reichte bei der wundersamen Vermehrung und als Erwachsener die Po-Ebene evangelisiert haben soll. Diese Kirche, eher eine Kapelle, besteht aus einem einzigen Raum mit Barockdekor. Hinter dem Altar, durch eine kleine Öffnung zu betreten, befindet sich ein mächtiges Chorgestüh aus Nussbaum. Hier traf sich die Bruderschaft des heiligen Leibes Jesu, die im Jahr 1517 gegründet wurde.

Das Teatro Romano kann ich nicht verlassen, ohne noch einmal das Römische Museum zu besuchen, mit all den Skulpturen, Mosaiken, den Mönchszellen, dem kleinen Kreuzgang und der Terrasse. Im Restaurant vor der ehemaligen Redentore-Kirche stärke ich mich mit köstlichen fettucine al tartufo, blicke hinüber zu den kleinen Häusern an der Etsch und zum Ponte Pietra.

Um 20 Uhr sitze ich dann wieder auf den Stufen der Arena. Erlebe erneut das Spektakel wie sich die Reihen füllen, wie Verkäufer von Programmen, Kissen und Getränken laut rufend durch die Reihen gehen, wie es allmählich dunkel wird, die kleinen Kerzchen angezündet werden – die Ouvertüre zum Barbiere di Siviglia erklingt. Die Heiterkeit dieser Oper fand ihren Ausdruck schon im Bühnenbild: riesengroße hohe Rosen ragen in den dunklen Nachthimmel, an dem ab und zu der helle Mond sich zwischen den Wolken hervorwagt. Graf Almaviva und Rosina werden getraut – und ein prächtiges Feuerwerk feiert dieses glückliche Ende.

Meinen Besuch im Castel Vecchio beschränke ich auf das Scarpa-Museum, und hier auf die Gemäldegalerie. Ja, ich kann sie wieder bewundern: Pisanellos „Madonna mit der Wachtel“ und Stefano da Veronas „ Maria im Rosenhag“. Mit 15 weiteren Renaissance- und Barockgemälden wurden sie im Jahr 2015 gestohlen. Ein unglaublich dreister Raub, als abends um 19 Uhr die Diebe kamen, den Wärter fesselten und mit ihrer Beute im Auto davon fuhren. Die Gemälde wurden inzwischen in Osteuropa gefunden und im Dezember 2016 dem Museum wieder zurückgegeben.

Mein letzter Tag in Verona. Es regnet leicht, als ich über die Piazza Brà bummle. Ich kaufe einen Schirm und erreiche noch rechtzeitig mein Hotel, ehe Blitz und Donner und strömender Regen einsetzen. Kündigt sich nach den heißen Tagen jetzt der Herbst an? Dass mein Zug mit 50 Minuten Verspätung von Verona abfahren wird, stört mich wenig. So kann ich bei Feltrinelli im Bahnhof in aller Ruhe in den Neuerscheinungen schmökern und das neue Buch von Luciano di Crescenzo kaufen: „Sono stato fortunato“. Und freue mich auf eine geruhsame Heimreise.

 

                                                                                Nürnberg, September 2018 Ulrike Rauh

                                                                              (copyright und Foto Ulrike Rauh)