Ich verlasse eine kühle Bahnhofshalle und steige in dumpfe Hitze, überquere langsam die breite Straße und laufe auf dem langen Corso Garibaldi ins Zentrum. Es ist Sonntag. Wenige Menschen sind unterwegs. Kaum ein Auto fährt an mir vorbei. Ab und zu bleibe ich stehen, betrachte die Blumenkästen auf der Brücke über den schmalen Bacchiglione, der träge unter mir fließt. Flüchtig erinnere ich mich, wie ich vor ein paar Jahren auch auf dieser Straße ins Zentrum zur Piazza Cavour lief, damals sehr rasch, denn es war kalt: in Padua lag Schnee. Der kleine Park lockt mit seinen Tischen und Stühlen, auch die Cappella degli Scrovegni lädt zu einem Besuch ein. Weiter vorbei an den Mauerresten der Arena erreiche ich schließlich ein lebendiges Stadtzentrum mit Läden wie Prada, oder Louis Vuitton. Doch mein Ziel ist das im klassizistischen Stil erbaute prächtige Caffè Pedrocchi, das mit seinen dorischen und korinthischen Säulen einem Tempel gleicht.
Die großzügig gestaltete Terrasse ist gut besucht, doch es gibt genug freie Plätze, so dass ich ungestört die Spezialität dieses Hauses genießen kann: Espresso mit Pfefferminzsahne und Kakaopulver. Viele der Gäste bestellen dieses grüne Getränk mit der weißen Kapuze, von eilig hin-und herlaufenden sehr jungen, sehr freundlichen Bedienungen serviert.
Dieses historischen Caffè hatte 1772 Francesco Pedrocchi mitten in der Stadt gegründet: es sollte das schönste in der Welt werden. 1799 übernahm es sein Sohn Antonio Pedrocchi, kaufte weitere Gebäude hinzu und beauftragte den Architekten Giuseppe Jappelli mit der Umgestaltung.1831 fand die Eröffnung statt. Sehr rasch wurde das Pedrocchi zum Treffpunkt von Intellektuellen und Künstlern, wie Lord Byron, Gabriele D´Annunzio oder Maxim Gorki. Stendhal schrieb in diesen Räumen die „Kartause von Parma“. Da das Caffè von 1831 bis 1916 Tag und Nacht geöffnet war, erhielt es den Namen „Caffè ohne Türen“. Aber auch deshalb, weil der Besitzer wünschte, dass es allen Personen, egal welcher Herkunft, möglich sein sollte, sein Caffè zu besuchen.
Nach Pedrocchis Tod übernahm es Domenico Cappellato, der das Caffè in seinem Testament der Stadt Padua vermachte. Wegen wirtschaftlicher Probleme musste es schließen und öffnete erst im Dezember 1998 wieder.
Von den drei Räumen im Erdgeschoss, dem Grünen Saal, dem Weißen Saal und dem Roten Saal besuche ich heute nur den roten und bleibe wieder staunend stehen vor all dieser Pracht und Eleganz. Ich bewundere nicht zum ersten Mal die ellipsenförmige Marmortheke und die große runde Uhr, angebracht auf einer vergoldeten Platte an der Wand. Den schwarzen Flügel davor umrahmen hohe weiße ionische Säulen.
Die steile Scala Rossini führt hinauf in den ersten Stock in das Piano Nobile, in dem sich insgesamt zehn Säle aneinanderreihen. Der bedeutendste und größte ist Rossini gewidmet, die Sala Rossini. Voller Bewunderung blicke ich hinauf zu den Stuckarbeiten, die Themen der Musik zeigen. Eine Art langgezogene Loge dient als Bühne für Aufführungen und Festansprachen. Mehrere Ober decken sehr sorgfältig zehn runde Tische mit weißen Tischdecken und je zehn Gedecken.
„Für eine Promotionsfeier heute Abend“, erklärt mir ein Ober sehr freundlich. „Gestern hatten wir hier eine Hochzeit“, fügt er noch hinzu.
Neugierig werfe ich anschließend einen Blick in die anderen Säle, wie den ägyptischen oder etruskischen. Dann folge ich dem Wegweiser ins Museum des Risorgimento und dem Padua der Gegenwart, ehe ich einen der Balkone betrete, zu denen ich immer bei meinen Besuchen in Padua hinaufgeblickt und überlegt hatte, wie man sie wohl erreicht.
Sehr beschwingt kaufe ich dann im Roten Saal eine der drei weißen Kaffeetassen mit der in Gold gefassten Zahl 1831 – ich entscheide mich für die mittlere Größe.
Ulrike Rauh
(copyright und Fotos: Ulrike Rauh)